Pressemitteilung vom 19. September 2022
In zwei Verfügungsverfahren griff Birkenstock jeweils vier konkrete Gesundheitssandalenmodelle der beiden spanischen Familienunternehmen Penta Shoes S.L. und Calzados D’Simons S.L. vor dem Landgericht Köln an. Birkenstock argumentierte, die angegriffenen Sandalen verletzten die eigenen Urheberrechte an deren Sandalenbasismodellen Madrid, Arizona, Boston und Gizeh. Ähnliche Sandalen werden schon seit vielen Jahren von hunderten Unternehmen vertrieben. Obwohl in den gegenwärtigen Fällen nur die Frage der Verletzung durch acht konkrete Sandalenmodelle streitgegenständlich war, könnte die Bedeutung dieser Verfahren weit über diese konkreten Modelle reichen.
Birkenstock, ein deutsches Unternehmen, das 2021 für angeblich ca. 4 Milliarden Euro von einem globalen Growth-Investor erworben wurde, ist nicht nur für seine Gesundheitssandalen, also Sandalen mit einem bequemen Fußbett und Korksohlen, bekannt, sondern auch für sein aggressives rechtliches Vorgehen gegen andere Hersteller und Händler von Gesundheitssandalen. Zur Sicherung einer exklusiven Marktstellung seiner Basismodelle Madrid, Arizona, Boston und Gizeh berief sich Birkenstock gegenüber Wettbewerbern in der Vergangenheit üblicherweise auf lauterkeitsrechtliche Ansprüche. Obwohl dies in Bezug auf abgewandelte Varianten dieser Sandalen wohl nach wie vor gilt, scheint das Unternehmen im Hinblick auf die Basismodelle neue Wege zu suchen. Im Mai 2019 meldete Birkenstock unter anderem für diese Basismodelle 3D-Unionsmarken an, zog diese Anmeldungen jedoch im Februar 2020 aus unbekannten Gründen wieder zurück (Registernummern 018061480, 018061481, 018061484 und 018061486).
Im Jahr 2021, geraume Zeit nachdem der EuGH seine Cofemel- und Brompton-Entscheidungen erlassen hatte (EuGH, Urteil vom 12. September 2019, C-683/17 – Cofemel; EuGH, Urteil vom 11. Juni 2020, C-833/18 – Brompton), entdeckte Birkenstock das Urheberrecht für sich. Seitdem haben die Landgerichte Köln und Frankfurt am Main zahlreiche einstweilige Verfügungen zugunsten Birkenstocks erlassen, jeweils mit der Begründung, dass die in diesen Verfahren angegriffenen Sandalen Urheberrechte Birkenstocks verletzen. Demgegenüber hat das Landgericht Hamburg einen entsprechenden Antrag Birkenstocks auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit lesenswerter Begründung abgelehnt; diese Entscheidung wurde jedoch später vom Oberlandesgericht Hamburg aufgehoben und die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Somit war Birkenstock, soweit in Fachkreisen bekannt, mit seinen Anträgen auf Erlass einstweiliger Verfügungen auf urheberrechtlicher Grundlage bislang ausnahmslos erfolgreich. Diese – aus Sicht von Birkenstock herausragend positive – Erfolgsbilanz hat nun einen ersten Dämpfer erlitten:
Am 30. Dezember 2021 erließ das Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung zugunsten von Birkenstock. Diesmal gerichtet gegen den deutschlandweiten Vertrieb von vier Sandalen des spanischen Familienunternehmens Penta Shoes S.L. Auch hier mit der Begründung, diese verletzten die urheberrechtlichen Verwertungsrechte Birkenstocks an den Basismodellen der Gesundheitssandalen Madrid, Arizona, Boston und Gizeh. Der gegen den Beschluss eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Demgegenüber deutete der Senat im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Köln in der am 19. August 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung an, dass er dazu tendiere der Berufung stattzugeben, die einstweilige Verfügung aufzuheben und Birkenstocks Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Der Senat war der Ansicht, dass Birkenstock nicht hinreichend glaubhaft gemacht habe, dass die vier Sandalenbasismodellen die Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes erfüllen. Insoweit sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass die Sandalenmodelle das Ergebnis eines künstlerisch-kreativen Schaffensprozesses waren und somit die notwendige Schöpfungshöhe für ein Werk der angewandten Kunst erreicht worden sei. Infolgedessen zog Birkenstock den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in der mündlichen Verhandlung zurück, sodass keine Entscheidung über die Berufung ergehen konnte.
In einem weiteren Verfügungsverfahren – diesmal gegen das spanische Familienunternehmen Calzados D’Simons S.L.– hatte das Landgericht Köln (dieselbe Kammer wie in der oben berichteten Sache) am 22. April 2022 ebenfalls eine einstweilige Verfügung gegen den deutschlandweiten Vertrieb von vier Gesundheitssandalen erlassen. Auch in diesem Fall sollten angeblich bestehende urheberrechtliche Verwertungsrechte Birkenstocks an den oben erwähnten vier Modellen verletzten worden sein. Zwar deutete die Kammer in der Widerspruchsverhandlung an, dass sie die einstweilige Verfügung voraussichtlich bestätigen werde. Gleichwohl zeigte sie Interesse am Ausgang des oben beschriebenen Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Köln und terminierte die Urteilsverkündung auf ein Datum sechs Tage nach der Verhandlung vor dem Berufungsgericht in der anderen Sache. Angesichts der Entwicklungen in obigem Berufungsverfahren entschied die Antragsgegnerin, zwei Tage vor der angesetzten Urteilsverkündung einen erneuten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu stellen. Eine Entscheidung über diesen Antrag war jedoch ebenso wenig erforderlich wie über den gegen die einstweilige Verfügung gerichteten Widerspruch; Birkenstock zog seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch am 23. August 2022 zurück.
Die vom Landgericht Köln erlassenen einstweiligen Verfügungen verwiesen in beiden Fällen in ihrer Begründung auf von Birkenstock gemeinsam mit dem Verfügungsantrag eingereichte Sachverständigengutachten zu technischen und rechtlichen Fragen. Diese Gutachten waren jedoch in den vorangegangenen Abmahnungen weder erwähnt noch überreicht worden. Im Laufe der Gerichtsverfahren reichten beide Parteien weitere Gutachten ein, was den Gerichten eine gründlichere Bewertung ermöglichte.
Falls Sie sich jemals gefragt haben sollten, warum es so schwer ist, Gerichtsurteile zuungunsten von Birkenstock zu finden: Teil der Strategie Birkenstocks scheint zu sein, Anträge auf den Erlass einstweiliger Verfügungen in den Fällen, in denen die Richter/-innen andeuten, zuungunsten von Birkenstock zu entscheiden, zurückzuziehen. Diese Taktik geht jedoch nicht in allen anderen Verfahrensarten auf. So entschied das Bundespatentgericht erst kürzlich auf Löschung von Birkenstocks Bildmarke für das Muster der Außensohle, des sogenannten „Knochenmusters“, da ihm keine Unterscheidungskraft zukommt (Entscheidung vom 17. Juni 2022, Az. 29 W (pat) 10/19). Diese Entscheidung deckt sich mit einer früheren Entscheidung des EuGH fast vier Jahre zuvor, gemäß der das Muster keinen Markenschutz begründen kann (Urteil vom 13. September 2018, Az. C-26/17). Beachtlich ist insoweit, dass Birkenstock in den beiden hier berichteten Verfügungsverfahren die Überlegung geäußert hat, auch dem Knochenmuster könne urheberrechtlicher Schutz zukommen, ausdrücklich ohne jedoch seine Ansprüche hierauf zu stützen. Auch wenn diese Frage in den entsprechenden Verfügungsverfahren daher nicht entscheidend war, so wird es doch interessant sein zu beobachten, ob Birkenstock diesen Kurs wirklich weiterverfolgen und gegen Wettbewerber auf der Grundlage von angeblichen Urheberrechten an einem einfachen Sohlenmuster rechtlich vorgehen wird.
Trotz des für die hiesigen Antragsgegner positiven Ausgangs der zwei berichteten Verfügungsverfahren, sollten sich Hersteller und Wiederverkäufer von Gesundheitsbasissandalen auf die Möglichkeit einstellen, dass Birkenstock seine Strategie kurzer Abmahnungen und ausführlicher Verfügungsanträge weiterverfolgen könnte. Abmahnungen von Birkenstock sollten daher weiterhin sehr ernst genommen werden. Wie diese aktuellen Fälle zeigen, sind deutsche Gerichte trotz der Vielzahl an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Grundsatzes prozessualer Waffengleichheit und des Grundsatzes rechtlichen Gehörs unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin gewillt, einstweilige ohne vorherige Einbeziehung der Antragsgegner zu erlassen. Selbst ohne den Erhalt einer Abmahnung sollten Hersteller und Wiederverkäufer die Hinterlegung von Schutzschriften in Betracht ziehen, da es innerhalb der von Birkenstock gesetzten Frist zur Beantwortung der Abmahnungen unter Umständen nicht machbar ist, die erforderlichen Beweise und Argumente zu sammeln.
In jedem Fall wir es spannend bleiben, solange die grundsätzliche Frage urheberrechtlicher Schutzfähigkeit (banaler) Sandalengestaltungen nicht einer höchstrichterlichen Klärung zugeführt worden ist.
Vertreter der Penta Shoes S.L. & Calzados D’Simons S.L.: BARDEHLE PAGENBERG (München):
Dr. Philipe Kutschke (Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Wirtschaftsmediator (MuCDR), Partner)
Dr. Jan Lersch (Rechtsanwalt)
Vertreter von Birkenstock:
Unternehmenseigener Vertreter: Moritz Schumacher (Legal Counsel IP)
Jonas Rechtsanwälte (Köln, außergerichtlich): Dr. Nils Weber, Dario Leisner
SKW Schwarz (München, Gerichtsverfahren): Dr. Konstantin Wegner,
Pia Sökeland, Johanna Weiß, Dr. Anna Kellner
14. Zivilkammer des Landgerichts Köln:
Dr. Martin Koepsel (vorsitzender Richter)
6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln:
Hubertus Nolte (vorsitzender Richter)