3.1 Kostenvorteile des Einheitspatents
Der Klarheit halber ist vorauszuschicken, dass das europäische Bündelpatent auch für Patentinhaber seine Bedeutung behalten wird, die ein Einheitspatent beantragt haben, und zwar für:
- die EPÜ-Vertragsstaaten die nicht EUStaaten sind;
- die EU-Staaten, die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen;
- die Staaten, die an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, in denen das EPGÜ aber noch nicht in Kraft getreten ist.
Für die drei genannten Gruppen von Staaten bleibt es beim Bündelpatent, für sie ergeben sich demgemäß keine Einsparungsmöglichkeiten durch das Einheitspatent. Zur ersten und zweiten Gruppe gehören die Staaten Schweiz und Spanien sowie das Vereinigte Königreich. Für die dritte Gruppe ergibt sich, dass die Einsparungsmöglichkeiten maßgeblich durch den Ratifizierungsfortschritt beim EPGÜ bestimmt werden.
3.1.1 Jahresgebühren
Bei den Jahresgebühren ist die mit dem Einheitspatent erzielte Verfahrensvereinfachung augenfällig. Alle Vertragsstaaten des EPÜ verlangen Jahresgebühren. Bei der Zahlung sind eine Vielzahl von Land zu Land verschiedener Erfordernisse zu beachten, die sich ändern können oder auch regelmäßig ändern, wie Zahlungsformen, Konten oder Gebührensätze. Demgegenüber ist für das Einheitspatent eine einheitliche Jahresgebühr an das EPA zu zahlen.
Die Bemessung der zukünftigen Jahresgebühren beruht auf dem Modell „True Top 4“.6 Es basiert auf der Prämisse, dass die Jahresgebühren für das Einheitspatent den Gebühren entsprechen sollen, die der Patentinhaber für nationale Patente in den vier teilnehmenden Vertragsstaaten zu zahlen hat, in denen das europäische Patent am meisten validiert wird (DE, FR, NL, UK). Bisher wurde der Brexit noch nicht zum Anlass genommen, die Sätze der Jahresgebühren neu zu berechnen. Die Gebührensätze beginnen für das 2. Jahr mit 35 €, überschreiten nach dem 9. Jahr die Schwelle von 1.000 € und enden beim 20. Jahr mit 4.855 €. Über die gesamte Laufzeit summieren sie sich auf 35.555 €, für die ersten 10 Jahre betragen sie 4.685 €.
3.1.2 Validierung
Gegenüber dem traditionellen Bündelpatent können beim Einheitspatent Kosten für die Validierung wegfallen. Diese setzen sich zusammen aus Übersetzungskosten, Kosten für eine vorgeschriebene Vertretung durch einen nationalen Vertreter, sowie Gebühren für die Einreichung beim nationalen Amt.
Für eine Übergangszeit von mindestens sechs und höchstens 12 Jahren ist nach Art. 6 EPVÜ jedoch in jedem Fall eine komplette Übersetzung des erteilten Patents beim EPA einzureichen.
3.1.3 Der relevante Vergleich
Der Patentinhaber muss sich demnach fragen, für welche Länder er mit dem Einheitspatent etwas sparen kann und in welchen Ländern er Schutz braucht.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass 50 % der erteilten Patente nur in bis zu drei EU-Staaten validiert werden. Dies werden ganz überwiegend die Länder mit dem höchsten Bestand erteilter Patente, also Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich sein. Für diese Staaten ist nach dem Londoner Übereinkommen keine Übersetzung erforderlich, während für das Einheitspatent in der Übergangszeit eine Übersetzung einzureichen ist. Für die Hälfte der erteilten Patente bedeutet also das Einheitspatent unter dem Gesichtspunkt der Übersetzungskosten eine Verschlechterung gegenüber dem Bündelpatent.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Vereinigte Königreich durch den Brexit vom Geltungsbereich des Einheitspatents ausgenommen sein wird. Braucht der Anmelder dort Schutz, so hat er die Validierungskosten und die Jahresgebühren zu tragen. Diese belaufen sich für das 5. bis 10. Jahr auf 720 Pfund, für das 5. bis 15. Jahr auf 2050 Pfund und für das 5. Jahr bis zum Patentablauf auf 4.640 Pfund. Damit verringert der Brexit die Vorteile des Einheitspatents hinsichtlich der Jahresgebühren deutlich.
Auf der anderen Seite gibt es etwa 1.000 Patente, die in allen EU-Staaten validiert werden, mit geschätzten Validierungskosten von über 32.000 € an. Es liegt auf der Hand, dass ein Patentinhaber, der umfassenden territorialen Schutz benötigt, mit dem Einheitspatent bei den Übersetzungen hohe Kostenvorteile erzielen wird, auch wenn das Patentreformpaket zunächst erst in 17 Mitgliedstaaten anwendbar ist.
Während also für gut die Hälfte der erteilten Patente die Abwägung ziemlich eindeutig ausfällt, sind für den überwiegenden Rest die Umstände des Einzelfalls zu prüfen, d. h. das individuelle Schutzinteresse, die gegenwärtigen Übersetzungserfordernisse unter Berücksichtigung des Londoner Übereinkommens und der Ratifizierungsstand des EPGÜ.
Auch hinsichtlich der Jahresgebühren ist zu beachten, dass bisher das europäische Patent in etwa der Hälfte der Fälle nur in bis zu drei Ländern validiert wird, während der Inhaber eines Einheitspatents den Gegenwert für vier Länder zu zahlen hat. Hier stellt sich die Frage, ob die Nutzer des europäischen Patentsystems dem Einheitspatent einen Mehrwert gegenüber dem Bündelpatent zumessen und ob sie bereit sind, dafür auch mehr zu bezahlen (siehe näher unten Pkt. 5). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Inhaber des Einheitspatents die volle einheitliche Jahresgebühr zu zahlen hat, solange er das Patent aufrechterhält, während beim Bündelpatent die Gebührenbelastung während der Laufzeit durch das Fallenlassen des Patents in einzelnen Staaten gesenkt werden kann.
3.2 Nationale Gerichtsbarkeit oder Einheitliches Patentgericht
Der Weg zum EPG hat für den Patentinhaber den Vorteil, dass er das Einheitspatent oder das europäische Bündelpatent in einem einzigen Verfahren für alle Staaten durchsetzen kann, in denen das EPGÜ gilt. Das erhöht die Schlagkraft des Patents. Freilich steht dem zwingend die Gefahr gegenüber, dass das Patent auch in einem einzigen Verfahren für das gesamte Gebiet für nichtig erklärt wird, sei es durch eine isolierte Nichtigkeitsklage, oder sei es durch eine Widerklage auf Nichtigerklärung, die im Verletzungsverfahren erhoben werden kann („all eggs in one basket“).
Die Einrichtung der Lokal- und Regionalkam- mern dient dem Zweck einer Einbindung schon etablierter Systeme. Dies gilt insbesondere für Deutschland, Frankreich und die Niederlande, in denen erfahrene Patentrichter tätig sind, und dieses Potential wird vor allem durch die erwähnte Regelung im EPGÜ genutzt, dass die Lokalkammern in einem Land mit mindestens 50 Patentstreitsachen im Jahr mit zwei Richtern aus diesem und einem Richter aus einem anderen Land besetzt sind.
Vor welcher Lokalkammer prozessiert wird, hat der Patentinhaber weitgehend selbst in der Hand. Er hat dabei grundsätzlich die Wahl zwischen dem Wohnsitz des Beklagten und dem Verletzungsort.
Bei der Zentralkammer kann der Kläger dagegen kaum erwarten, dass er auf Richter aus seinem eigenen gewohnten Rechtskreis trifft. Bei ihr wird das Kriterium der geografischen Verteilung der Richter über die Vertragsstaaten ein gewichtiges Auswahlkriterium sein. Richter aus den Ländern mit etablierten Patentstreitsystemen werden vorwiegend in den Lokal- und Regionalkammern vertreten sein.
3.3 Das Bündelpatent – optout und opt-in
Um die Akzeptanz des Patent-Reform-Pakets zu erhöhen, besteht für das Bündelpatent während einer Übergangszeit eine parallele Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts und der nationalen Gerichte. Ferner ist dem Schutzrechtsinhaber während dieses Zeitraums die Möglichkeit eingeräumt worden, die ausschließliche Zuständigkeit des EPG für das Bündelpatent auszuschließen (opt-out).
Zu beachten ist, dass sich die Zuständigkeit des EPG nicht auf die Patente beschränkt, die nach Inkrafttreten des EPGÜ erteilt werden. Vielmehr erfasst sie auch bereits zuvor erteilte europäische Patente mit Wirkung für die Staaten, in denen das EPGÜ in Kraft getreten ist. Der Patentinhaber muss also bei Inkrafttreten des EPGÜ sein gesamtes Portfolio europäischer Patente darauf überprüfen, ob er die Zuständigkeit des EPG ausschließen will. Für das opt-out fällt dabei keine Gebühr an.
Die Übergangszeit, in der ein opt-out erklärt werden kann, beträgt sieben Jahre und kann bis auf 14 Jahre verlängert werden.
Opt-out und opt-in (also die Rücknahme des opt-out) sind an die Voraussetzung geknüpft, dass noch keine Klage bei dem bis zu der jeweiligen Erklärung zuständigen Gericht eingereicht wurde. Der Patentinhaber kann also zunächst die Zuständigkeit des EPG für sein Bündelpatent ausschließen, in der Annahme, dass er diese Erklärung wieder rückgängig machen kann, wenn er eines Tages die Vorteile nutzen will, die sich aus der einheitlichen Durchsetzung des Patents vor dem EPG für alle EPGÜ Staaten ergeben. Damit eröffnet er allerdings bis zu seinem opt-in dem vermeintlichen Verletzer die Möglichkeit, vor einem nationalen Gericht Nichtigkeitsklage oder negative Feststellungsklage zu erheben.
Patentinhabern, denen das Einheitspatent im Hinblick auf Jahresgebühren und Pflichtübersetzung während der Übergangszeit finanziell (noch) nicht attraktiv erscheint, stellt sich die Frage, wie sie sich im Hinblick auf die ausschließliche Zuständigkeit des EPG verhalten werden. Eine relevante Möglichkeit ist – neben dem opt-out – die Flucht der Anmelder vor dem EPG in nationale Patentanmeldungen. In diesem Zusammenhang ist ein markantes Ansteigen deutscher Patentanmeldungen von Anmeldern aus Japan und den USA in den letzten Jahren zu verzeichnen, das als Anzeichen für eine Renaissance der nationalen Patentsysteme gedeutet werden kann. Was das EPG angeht, ist zu bedenken, dass erst wenn ein opt-out nicht mehr möglich ist, der Patentinhaber vor die definitive Alternative nationales Patent und nationale Gerichte oder Bündelpatent und Einheitliches Patentgericht gestellt ist.
Für Patentinhaber, die trotz der von Anfang an bestehenden zwingenden Zuständigkeit des EPG für das Einheitspatent nicht völlig auf den Zugang zu nationalen Gerichten verzichten wollen, besteht in Deutschland die erwägenswerte und kostengünstige Möglichkeit des Gebrauchsmusterschutzes, der darüber hinaus rasch zu erlangen ist, derzeit innerhalb weniger Wochen ab Antragstellung. Das Gebrauchsmuster steht allerdings nur für Erzeugnis-, nicht aber für Verfahrenserfindungen zur Verfügung. Ausdrücklich ausgeschlossen sind Gebrauchsmuster auf dem Gebiet der Biotechnologie. Die kürzere Laufzeit von Gebrauchsmustern ist für verschiedene technische Gebiete von unterschiedlicher Bedeutung, die davon abhängt, wie lange Produkte auf dem jeweiligen Gebiet technisch aktuell bleiben.