Verjährung gemäß dem EPGÜ

Wer zu spät kommt, … 

Wer kennt nicht das Sprichwort: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“?

Dieser Satz, der 1989 anlässlich eines Treffens Gorbatschows mit Honnecker geprägt wurde, gilt bis heute als Mahnung – und ist auch unter dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) aktuell.

Artikel 72 EPGÜ regelt die Verjährungsfrist:
 

Artikel 72 Verjährungsfrist

Unbeschadet des Artikels 24 Absätze 2 und 3 können Klagen im Zusammenhang mit allen Formen der finanziellen Entschädigung nicht später als fünf Jahre, nachdem der Antragsteller von dem letzten Ereignis, das Veranlassung zur Klage bietet, Kenntnis erlangte oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen, erhoben werden.

Werfen wir einen Blick auf die einzelnen Voraussetzungen von Art. 72 EPGÜ:

„Unbeschadet des Artikels 24 Absätze 2 und 3“

Die Bestimmung über die Verjährungsfrist beginnt mit einem Verweis auf Art. 24 EPGÜ, der die Rechtsquellen betrifft, auf die das Einheitliche Patentgericht (EPG) seine Entscheidungen stützen soll. Interessanterweise wird jedoch nicht auf Art. 24 (1) (e) EPGÜ verwiesen, der die Anwendung des nationalen Rechts vorsieht.

Die entscheidende Frage scheint also zu sein: Ist das nationale Recht über die Verjährungsfrist zusätzlich zu Art. 72 EPGÜ anwendbar und, wenn ja, in welchem Umfang?

Es scheint zwei Möglichkeiten zu geben, wie der einleitende Verweis auszulegen ist: 

  1. Ergänzende Anwendung des nationalen Rechts – „filling the gap“:
    Das nationale Recht ist nur in Bezug auf weitere Einzelheiten anwendbar, die durch Art. 72 EPGÜ nicht beantwortet werden (also beispielsweise die genaue Berechnung der Verjährungsfristen oder nationale Bestimmungen über die Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung).
  2. Zusätzliche Anwendung des nationalen Rechts:
    Das nationale Recht ist zusätzlich zu Art. 72 EPGÜ anzuwenden – allerdings nur, wenn die einschlägige nationale Bestimmung zu einer kürzeren Verjährungsfrist führen würde. 

Die erste Möglichkeit führt zu einem praktischen Dilemma. Denn bei Verfahren um Bündelpatente und noch viel mehr bei Einheitspatenten sind sehr viele nationale Vorschriften potenziell anwendbar, die nicht vereinheitlicht sind. Ein solches Verständnis ist daher aus praktischen Gesichtspunkten abzulehnen. Vielmehr wird die Vorschrift so zu verstehen sein, dass wenn der zugrundeliegende Anspruch dem nationalen Recht entstammt auch nationales Verjährungsrecht anzuwenden ist. Als Beispiel kann die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für die Nutzung einer Patentanmeldung herhalten, für die das EPG Art. 67 EPÜ anwendet, der auf nationales Recht verweist. Im Gegensatz dazu findet beispielsweise ein Schadensersatzanspruch seine Grundlage unmittelbar im EPGÜ, sodass sich ein Rückgriff auf nationale Verjährungsvorschriften verbietet.

„Klagen im Zusammenhang mit allen Formen der finanziellen Entschädigung“

Art. 72 EPGÜ regelt die Verjährung von „Klagen im Zusammenhang mit allen Formen der finanziellen Entschädigung“. Darunter fallen beispielsweise reguläre Schadensersatzklagen und Klagen auf Entschädigung für aufgehobene Verfahrensmaßnahmen. Alle anderen nicht-finanziellen Ansprüche, wie Unterlassungs-, Rückruf- und Vernichtungsansprüche (in der Terminologie des EPGÜ: „Abhilfemaßnahmen“), sind von dieser Verjährung nicht betroffen. 

Aber warum ist Art. 72 EPGÜ ausdrücklich auf Ansprüche auf finanzielle Entschädigung beschränkt? Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sich die Tatsache, dass Unterlassungsansprüche nicht unter Art. 72 UPCA fallen, in den meisten Fällen – jedenfalls aus praktischer Sicht – gar nicht auswirken dürfte: Wenn die letzte Verletzungshandlung mehr als fünf Jahre zurückliegt, könnte es schwierig sein, die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr zu begründen und/oder es könnte ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis fehlen. 

„können … nicht … erhoben werden“

Die Formulierung in Art. 72 EPGÜ, wonach Klagen vor dem Gericht „nicht erhoben werden können“, wirft die Frage auf, ob sich dies bereits auf die Zulässigkeit der Klage bezieht oder ob der Beklagte die Einrede der Verjährung erheben muss, um sich gegen den geltend gemachten Anspruch zu verteidigen.

Obwohl der Wortlaut darauf hinweisen könnte, dass eine Klage im Falle der Verjährung des betreffenden Anspruchs unzulässig wäre und Art. 72 EPGÜ Teil des Kapitels IV des EPGÜ betreffend die „Verfahrensvorschriften“ ist, ist zu beachten, dass die (ebenfalls verbindliche) französische Fassung von Art. 72 EPGÜ von „Verjährung“ spricht und auch die englische Formulierung „limitation“ darauf hinzudeuten scheint, dass der Anspruch nur dann verjährt, wenn der Beklagte die Einrede erhebt (dasselbe gilt auch im deutschen Recht). In Anbetracht der Tatsache, dass das EPGÜ häufig auf die Befugnisse des Gerichts verweist, wenn es den Umfang von Ansprüchen festlegt, scheint es wahrscheinlicher, dass die Verjährung nur in Fällen gilt, in denen der Beklagte sie als Einwand gegen die Klage geltend macht. In jedem Fall ist es ratsam, die entsprechende Einrede zu erheben, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass es sich um eine prozessuale Regelung handelt, die von Amts wegen die Geltendmachung des Anspruchs verhindert. 

„später als fünf Jahre, nachdem der Antragsteller von dem Ereignis, das Veranlassung zur Klage bietet, Kenntnis erlangte oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen“

Was die konkrete Berechnung der Verjährungsfrist angeht, bestimmt Art. 72 EPGÜ, dass Ansprüche auf finanzielle Entschädigung nicht später als fünf Jahre nach dem Zeitpunkt geltend gemacht werden können, nachdem der Antragsteller von dem Ereignis, das Veranlassung zur Klage biete, Kenntnis erlangt hat. Die konkrete Berechnung der Frist ist sodann nach den Regeln 300 ff. der Verfahrensordnung (Rules of Procedure – RoP) vorzunehmen.

Die Verjährungsfrist muss für jedes einzelne Ereignis gesondert berechnet werden. Im Falle einer fortdauernden Rechtsverletzung können nur Ansprüche aufgrund von Handlungen verjähren, die mehr als fünf Jahre zurückliegen.

Art. 72 EPGÜ stellt dabei auf die Kenntnis des Antragstellers und nicht auf die Kenntnis des Gläubigers ab. Dies ist anders als im nationalen deutschen Recht: Dort beginnt die Regelverjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen – sogenannte relative Verjährung.

Nachdem das EPGÜ autonom zu interpretieren ist, verbietet sich auch ein Rückgriff auf nationales Recht für vermeintliche Lücken in den Regelungen des EPGÜ – so z.B. für die Hemmung und/oder Unterbrechung der Verjährung, welche das EPGÜ nicht kennt. Hier wird sich durch Rechtsprechung des EPG eine einheitliche Praxis etablieren müssen. 

 

Mehr Informationen zum Einheitlichen Patentgericht und Einheitspatent finden Sie auf unserer UPC-Special-Seite. 

TIPP: Schauen Sie sich Nadine Westermeyers IP Quick Tip auf unserem YouTube-Kanal an. 
 

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Autor

Nadine Westermeyer
Rechtsanwältin, Vertreterin vor dem EPG, Partner*

Nadine Westermeyer

Dominik Woll
Rechtsanwalt, Vertreter vor dem EPG, Partner*

Dominik Woll