Das Inkrafttreten des EPGÜ macht nationale Patentverletzungsverfahren auf Grundlage europäischer Patente ohne einheitliche Wirkung (noch) nicht obsolet. In seinem Urteil vom 14.02.2024, Az. 6 U 232/22, stellt das OLG Karlsruhe – neben lesenswerten Ausführungen zur Frage, inwieweit eine Einspruchsentscheidung der Beschreibung des Patents gleichsteht – klar, dass solche Rechtsstreitigkeiten weiterhin auf gesichertem Terrain ausgetragen werden: Das EPGÜ und dessen materielles Recht sind im nationalen Verletzungsverfahren nicht anwendbar.
1. Einführung
Seit dem Inkrafttreten des EPGÜ ist das EPG insbesondere für Verletzungsklagen aus und Nichtigkeitsklagen gegen europäische Patente mit und ohne einheitliche Wirkung ausschließlich zuständig (Art. 32 Abs. 1 lit. a) und d) i. V. m. Art. 2 lit. g) EPGÜ; die internationale Zuständigkeit nach Art. 31 EPGÜ insb. i. V. m. Artt. 71a ff. EuGVVO vorausgesetzt).
Für europäische Patente ohne einheitliche Wirkung gilt allerdings die Übergangsregelung des Art. 83 Abs. 1 EPGÜ, wonach Nichtigkeits- und Verletzungsklagen während einer Übergangszeit von sieben Jahren nach Inkrafttreten des EPGÜ weiterhin bei nationalen Gerichten erhoben werden können bzw. zusätzlich nach Abs. 3 sogar ein Ausschluss der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG möglich ist („opt-out“).
Lenkt man den Blick im Anschluss auf Art. 3 lit. c) EPGÜ, so liest man dort: „Dieses Übereinkommen gilt unbeschadet des Artikels 83 für alle europäischen Patente […]“.
Bedeutet das nun, dass ein nationales Gericht nach Art. 83 Abs. 1 EPGÜ zwar (konkurrierend) zuständig ist, aber in der Sache das EPGÜ und insbesondere das darin geregelte materielle Recht anzuwenden hat?
2. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe erteilt dieser Lesart in seinem Urteil vom 14.02.2024 eine klare Absage. Zwar steht das EPGÜ nach Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG formal gleichrangig neben dem nationalen Patentrecht – die Befugnisse „des Gerichts“ nach Artt. 56 ff. EPGÜ können ausweislich Art. 2 lit. a) EPGÜ (Gericht = EPG) allerdings nur solche des EPG sein. Das eigene materielle Recht aus den Artt. 25 ff. EPGÜ – maßgeblich also das Recht auf Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Erfindungsbenutzung – kann in systematischer Hinsicht also auch nur durch das EPG zur Anwendung kommen. Dies kommt explizit auch in Art. 24 Abs. 1 lit. b) EPGÜ zum Ausdruck, welcher gerade das EPG („das Gericht“) und nur dieses als Anwender des EPGÜ adressiert.
Obiter stellt das OLG Karlsruhe noch abschließend fest, dass die Anwendung der Artt. 25 ff. EPGÜ zu keiner abweichenden Entscheidung des Streitfalls geführt hätte.
3. Anmerkungen
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe überzeugt nicht nur aus den darin zum Ausdruck gebrachten Gründen, sondern auch darüber hinaus in zweierlei Hinsicht:
Zum einen gilt folgende binnensystematische Erwägung: Art. 3 lit. c) EPGÜ bestimmt die Anwendung des EPGÜ gerade „unbeschadet des Artikels 83“. Sollte mit dieser Rückausnahme zum Ausdruck kommen, dass sich lediglich die Zuständigkeit abweichend aus Art. 83 EPGÜ ergibt, so wäre sie folgerichtig bei den Zuständigkeitsvorschriften der Artt. 31 f. EPGÜ anzusiedeln gewesen. Am gewählten Regelungsstandort kann sie somit nur so verstanden werden, dass das EPGÜ in Fällen des Art. 83 EPGÜ im Übrigen überhaupt nicht zur Anwendung kommt.
Zum anderen lässt auch der Sinn und Zweck von Art. 83 EPGÜ im Gesamtsystem nur auf ein solches Verständnis schließen. Denn insbesondere der opt-out nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ soll es ermöglichen, sich dem neuen System zu entziehen. Dass das angerufene nationale Gericht dann aber dennoch die neuen Regelungen des EPGÜ anwendet, wäre damit nicht zu vereinbaren.
Die „Valentinstags“-Entscheidung des OLG Karlsruhe ist damit ein Geschenk für Liebhaber des nationalen Verletzungsverfahrens, zeigt aber auch: wer EPGÜ will, muss auch wirklich zum EPG. Obwohl die Anwendung der Artt. 25 ff. EPGÜ im zu entscheidenden Fall zu keiner abweichenden Entscheidung geführt hätte, wird die Situation in vielen Fällen ggfs. anders liegen (bspw. mit Blick auf die Reichweite eines ggfs. nur national vorhandenen Vorbenutzungsrechts; vgl. Art. 28 EPGÜ). Insoweit bleibt es dabei: die Wahl des Gerichtsstands ist eine der ganz wesentlichen strategischen Weichenstellungen bei Patentverletzungsklagen.