Mit dem baldigen Inkrafttreten des EPG wird eine neue Möglichkeit zur Verfügung stehen, um den Rechtsbestand eines Bündelpatents anzugreifen: Eine zentrale Nichtigerklärung. Diese Möglichkeit erhöht die Flexibilität beim Angriff des Rechtsbestands von Bündelpatenten. Es bedarf jedoch einer Beratung hinsichtlich der Frage, wann diese Möglichkeit zu nutzen ist. Aus Sicht des Patentinhabers, hingegen, muss umsichtig abgewogen werden, ob Bündelpatente von der Zuständigkeit des EPG ausgenommen werden sollen, was die Patente vor einer zentralen Nichtigerklärung schützen würde.
1. Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht sieht neue Möglichkeiten für Nichtigkeitsangriffe vor
Es ist zu erwarten, dass das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) bald, höchstwahrscheinlich am 1. April 2023, in Kraft tritt. Gleichzeitig wird auch das neu geschaffene Einheitliche Patentgericht (EPG) seine Tätigkeit aufnehmen. Sowohl für Verletzungs- als auch für Fragen der Rechtsbeständigkeit in Bezug auf Einheitspatente wird das EPG dann ausschließlich zuständig sein. Es wird auch für bestehende und künftige europäische Bündelpatente zuständig sein, obgleich die nationalen Gerichte und das EPG in den ersten sieben Jahren parallel zuständig sind.
Mit Inkrafttreten des EPG steht eine neue Möglichkeit zur Verfügung, den Rechtsbestand eines Bündelpatents anzugreifen. Gegenwärtig besteht die einzige Möglichkeit darin, einen Einspruch beim Europäischen Patentamt (EPA) einzulegen, um einen Widerruf eines Bündelpatents zu erwirken, der in mehr als einem Land seine Wirkung entfaltet - und dies ist nur innerhalb von neun Monaten nach Erteilung des Bündelpatents möglich. Andernfalls müssen in jedem Land einzeln kostspielige nationale Nichtigkeitsklagen erhoben werden, wobei jede einzelne Entscheidung eines nationalen Gerichts nur für das jeweilige Land gilt.
Nach der Einführung des EPG kann eine zentrale Nichtigerklärung von Bündelpatenten beim EPG beantragt werden, ganz gleich, ob die betreffenden Bündelpatente vor oder nach dem Inkrafttreten des EPG erteilt wurden. Somit kann im Hinblick auf Bündelpatente zentral über den Rechtsbestand entschieden werden, und die Entscheidung entfaltet in den momentan 17 Mitgliedsstaaten des EPGÜ, in denen das Bündelpatent validiert wurde, einheitlich ihre Wirkung. Eine zentrale Klage auf Nichtigerklärung kann jederzeit beim EPG erhoben werden, selbst während der neunmonatigen Einspruchsfrist. Dementsprechend kann innerhalb der Einspruchsfrist der Rechtsbestand eines Bündelpatents durch einen Einspruch beim EPA angegriffen werden sowie zusätzlich oder alternativ durch eine Klage auf Nichtigerklärung vor dem EPG. Zu beachten ist, dass dieselben Möglichkeiten auch für ein Einheitspatent zur Verfügung stehen.
Im Hinblick auf Bündelpatente kann der Rechtsbestand eines jeden nationalen Teils eines Bündelpatents nach dem Ablauf der Einspruchsfrist zusätzlich vor den zuständigen nationalen Gerichten angegriffen werden, da nationale Gerichte und das EPG während eines Übergangszeitraums von sieben bis 14 Jahren für Bündelpatente parallel zuständig sein werden. Dementsprechend kann das Bündelpatent entweder auf nationaler Ebene in den einzelnen Ländern, in denen das Bündelpatent validiert ist, oder zentral vor dem EPG angegriffen werden.
2. Vergleich zwischen dem EPA-Einspruchsverfahren und dem EPG-Nichtigkeitsverfahren
Der folgende Vergleich zwischen Einspruchsverfahren vor dem EPA und Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG soll bei der Entscheidungsfindung helfen, wo ein Bündelpatent angegriffen werden sollte, und ob Bündelpatente von der Zuständigkeit des EPG ausgenommen werden sollten.
a) Einspruchsgründe beim EPA und Nichtigkeitsgründe beim EPG
Die Einspruchsgründe sind beschränkt auf mangelnde Patentfähigkeit, mangelnde Ausführbarkeit und unzulässige Erweiterung. Ein Bündelpatent kann darüber hinaus aus folgenden Gründen vor dem EPG für nichtig erklärt werden: Erweiterung des Schutzbereichs nach Erteilung, mangelnde Berechtigung und in einem der EPG-Mitgliedstaaten bestehende ältere Rechte.
b) Verfahrensdauer
Was die Verfahrensdauer anbelangt, so lädt das EPA in Einspruchsverfahren üblicherweise 15 Monate nach Einreichung der Einspruchsschrift zur Verhandlung und verkündet, dass sechs Monate später die Verhandlung stattfindet. Dementsprechend kann in Einspruchsverfahren vor dem EPA durchschnittlich innerhalb von 21 Monaten mit einer erstinstanzlichen Entscheidung gerechnet werden, also grundsätzlich in etwa eineinhalb bis zwei Jahre nach Einlegen des Einspruchs.
Im Gegensatz dazu ist mit viel schnelleren Verfahren vor dem EPG zu rechnen. Es ist zu erwarten, dass Verhandlungen bereits neun Monate nach Zustellung der Klage, also innerhalb etwa eines Jahres, stattfinden.
c) Kosten
Was die Verfahrenskosten betrifft, so ist das Einlegen eines Einspruchs beim EPA relativ kostengünstig. Die Amtsgebühr für Einsprüche beträgt derzeit 840 Euro. Außerdem besteht ein geringes Risiko, dass der Patentinhaber die Erstattung seiner Kosten erfolgreich beantragt, da eine andere Verteilung als die, dass jede Partei ihre Kosten selbst trägt, der „Billigkeit“ entsprechen muss.
Im Gegensatz dazu ist für eine Nichtigkeitsklage vor dem EPG eine Festgebühr in Höhe von 20.000 Euro festgelegt; für eine Widerklage auf Nichtigerklärung fällt die gleiche Gebühr an wie für die zugrundeliegende Verletzungsklage, wobei sie auf 20.000 Euro beschränkt ist. Jedoch steht der obsiegenden Partei ohne Weiteres die Möglichkeit der Kostenerstattung zur Verfügung.
Daher hat die Klageerhebung beim EPG zwar den Nachteil höherer Kosten, bietet aber den Vorteil der möglichen Kostenerstattung.
d) Geltungsbereich
Im Hinblick auf die Wirkung der Entscheidungen ist beiden gemein, dass Entscheidungen in mehreren Ländern einheitliche Wirkung haben werden. Eine Entscheidung in einem Einspruchsverfahren vor dem EPA kann zum Widerruf eines Bündelpatents führen, der in allen (derzeit 39) Mitgliedstaaten des EPÜ seine Wirkung entfaltet. Entscheidungen in Nichtigkeitsverfahren vor dem EPG hingegen gelten nur für diejenigen EPÜ-Mitgliedstaaten, die am EPG teilnehmen (derzeit gibt es 17 dieser Mitgliedstaaten - das Vereinigte Königreich nimmt beispielsweise nicht teil).
e) Rechtsmittel
Das EPGÜ sieht Berufungsverfahren vor dem Berufungsgericht sowie Vorlagen an den Gerichtshof der Europäischen Union vor. Für einen beim EPA eingereichten Einspruch stehen folgende Rechtsmittel zur Verfügung: Beschwerdeverfahren vor den Beschwerdekammern und Vorlagen zur Großen Beschwerdekammer oder Anträge auf Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer. Natürlich stehen die Verfahren vor dem EPG mitsamt aller Rechtsmittel zur Verfügung, wenn ein Bündelpatent ein Einspruchsverfahren überlebt.
3. Schlussfolgerungen für Patentinhaber und potenzielle Verletzer
a) Was Patentinhaber bedenken sollten
Vor diesem Hintergrund kann der Patentinhaber erwägen, wichtige, doch (im Hinblick auf ihren Rechtsbestand) möglicherweise schwache Patente, von der Zuständigkeit des EPG auszunehmen. Potenzielle Verletzer müssten dann, zumindest nach dem Ablauf der Einspruchsfrist, einzelne nationale Nichtigkeitsklagen anstrengen. Dies würde einen Angriff der Rechtsbeständigkeit teurer machen, weil für die die Erhebung von Nichtigkeitsklagen in den einzelnen Ländern höhere Kosten anfallen. Außerdem könnte dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Patent zumindest in manchen EPÜ-Mitgliedstaaten überlebt.
Ein Patent von der Zuständigkeit des EPG auszunehmen, sollte jedoch nicht erwogen werden, wenn der Patentinhaber das Patent vor dem EPG durchsetzen will. Nachdem ein Patent von der Zuständigkeit des EPG ausgenommen wurde, kann dies grundsätzlich wieder rückgängig gemacht werden. Dies ist jedoch dann nicht mehr möglich, wenn nationale Nichtigkeitsverfahren anhängig sind, sodass das Patent dann nicht mehr vor dem EPG durchgesetzt werden kann.
b) Was potenzielle Verletzer hinsichtlich ihrer Verteidigungsstrategie bedenken sollten
So lange die Einspruchsfrist nicht verstrichen ist, wäre die Einlegung von Einsprüchen zu bevorzugen, da Einspruchsverfahren vor dem EPA das kostengünstigste Vorgehen zur Vernichtung von Bündelpatenten in allen EPÜ-Mitgliedstaaten bleiben. Einspruchsverfahren bieten außerdem den Vorteil, dass nötigenfalls ein Strohmann als Einsprechender eingesetzt werden kann (ob dies nach dem EPGÜ auch möglich ist, ist momentan noch nicht ausreichend klar). Wenn jedoch eine schnelle Entscheidung über die Nichtigerklärung zumindest in EPG-Mitgliedstaaten angestrebt wird, kann eine Nichtigkeitsklage vor dem EPG einem Einspruch vorzuziehen sein. Dasselbe trifft gegebenenfalls auf Fälle mit guten Erfolgsaussichten zu, welche die Erstattung der laut Gerichtsgebührentabelle des EPG gewährten Kosten wahrscheinlich machen.
Es kann auch eine Möglichkeit sein, beide Verfahren parallel anzustrengen, nämlich dann, wenn es sich um wichtige Fälle handelt, oder wenn neuer und einschlägiger Stand der Technik ausfindig gemacht wurde, der aufgrund der strengen Anforderungen des EPÜ in Bezug auf verspätetes Vorbringen nicht mehr in das anhängige Einspruchsverfahren eingeführt werden kann. Obwohl das EPG anhängige Verfahren aussetzen kann, und zwar dann, wenn zeitnah mit einer Entscheidung in einem Einspruchsverfahren vor dem EPA gerechnet wird, steht zu erwarten, dass das EPG selten aussetzen wird, da davon auszugehen ist, dass Verfahren vor dem EPG schnell sein werden.
Im Vergleich zu nationalen Nichtigkeitsverfahren in jedem einzelnen EPG-Vertragsmitgliedstaat, in dem das Bündelpatent validiert ist, würde der Weg über eine Nichtigkeitsklage vor dem EPG eine günstigere Option bieten, die außerdem den Vorteil potenzieller erheblicher Kostenerstattung im Fall eines Sieges bietet.
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